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NSU-Untersuchungsbericht | 22.08.2013

Grundlegende Zäsur erforderlich

Das Versagen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) über mehr als ein Jahrzehnt lang ist beispiellos. Neonazis konnten in Deutschland unbehelligt agieren und eine Mordserie verüben, ohne dass Justiz, Polizei und Verfassungsschutz einschritten. Dies hatte entsetzliche Folgen für die Opfer und ihre Angehörigen und erschütterte unser aller Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat. Wir brauchen daher eine grundlegende, ursachenorientierte Zäsur in der gesamten Architektur sowie bei Personal und Arbeitsweise unserer Sicherheitsorgane.

Der von uns angestoßene Parlamentarische Untersuchungsausschuss im Bundestag hat über viele Monate Fakten erhoben, ZeugInnen gehört und Akten gelesen. Im Schlussbericht des Ausschusses ist es gelungen, zwischen allen Fraktionen bei der Feststellung der ermittelten Tatsachen, bei den Bewertungen und bei vielen Schlussfolgerungen eine gemeinsame Auffassung zu erreichen. Das ist ein hoher Wert. In einigen wichtigen Fragen gibt es aber weiterhin unterschiedliche Positionen, sind über die gemeinsamen Feststellungen hinaus Präzisierungen und Zuspitzungen erforderlich.

In einem umfangreichen Sondervotum haben Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag daher ihre Schlussfolgerungen und Forderungen zusammengestellt. Hier unser Fazit in Kurzfassung:

Zehn Schlussfolgerungen aus der NSU-Untersuchung:

1) Die Treppe muss von oben gekehrt werden. Die Innenminister in Bund und Ländern waren nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie waren entweder inaktiv (Schäuble, Behrens), blockierten (Bouffier), waren aktiv, aber lokal beschränkt und zuständigkeitsegoistisch (Beckstein) oder bestärkten durch unzutreffende öffentliche Äußerungen die falsche Ermittlungstendenz (Schily). Kein Amtsträger zog wegen des Ermittlungsdesasters persönliche Konsequenzen.

2) Die Justizministerkonferenz beschäftigte sich gar nicht mit der Mordserie, obwohl ihre Staatsanwaltschaften nach dem Gesetz eigentlich ChefInnen der Ermittlungsverfahren waren. In den Parlamenten wurden die Ereignisse auch nicht thematisiert. Dieses Versäumnis wird nicht entschuldigt und nur zum Teil dadurch erklärt, dass von den Strafverfolgungsbehörden bis zuletzt der Eindruck suggeriert wurde, man habe erfolgversprechende Spuren ins Milieu der Organisierten Kriminalität.

3) Die Anfang der neunziger Jahre geführte Asyldebatte schuf ein Klima, das das Entstehen gewalttätiger rechtsextremistischer Strukturen begünstigte. Demokratische Parteien dürfen nie wieder zündeln und mit Unterbringungsproblemen oder anderen sozialen Fragen Politik zu Lasten von Minderheiten machen.

4) Die Nichtexistenz eines organisierten Rechtsterrorismus war eine Art bundesrepublikanische Staatsdoktrin. Dies hat die Köpfe vernebelt. Nicht nur beim Oktoberfest-Attentat mussten es Einzeltäter sein. Dies schlug sich selbst nieder bei der Benennung der Hypothesen als Organisationstheorie (gemeint kriminelle Organisation) oder Einzeltätertheorie (gemeint der rassistische Mörder). Die rechtsterroristische Organisation war gedanklich gar nicht vorgesehen.

5) Der Generalbundesanwalt und seine Mitarbeiter sind als bloße Zeitungsleser- und Auswerter überbezahlt. Er muss von Gesetzes wegen die Kompetenz und die Verpflichtung erhalten, die Frage des Ob seiner Zuständigkeit selber ermitteln zu können.

6) Das Bundeskriminalamt (BKA) sollte eigentlich der Ort sein, an dem sich die kriminalistische Kompetenz ballt. Hier war es der Ort des größten Versagens, von der Nichtauswertung der Garagenliste in Jena über das Versanden-Lassen der Ceska-Spur bis zum besonders bornierten Festhalten an der Organisationstheorie. Die Leitung dieser Behörde lässt bis zum heutigen Tage auch nur den Hauch einer Selbstkritik vermissen.

7) Dass MörderInnen das Risiko ihrer Entdeckung minimieren, wenn sie ihre Tat im benachbarten Bundesland begehen, kann nicht ernsthaft als Folge des Föderalismus akzeptiert werden. So wenig wie der Umstand, dass TäterInnen in Nürnberg nur im Großraum Nürnberg und TäterInnen in Köln nur im Großraum Köln gesucht werden. Die Sicherheitsorgane müssen lernen, im Verbund zu denken und zu kommunizieren.

8) Das Bundesamt für Verfassungsschutz taugt in der derzeitigen Struktur nicht als Analyseinstrument und zur brauchbaren Informationsbeschaffung. Es muss aufgelöst, aufgespalten und strukturell und personell neu aufgestellt werden.

9) Die Polizei muss endlich in Ausbildung und personeller Zusammensetzung auf die Höhe einer Einwanderungsgesellschaft gebracht werden. Das Entwickeln einer Fehlerkultur und die vorurteilsfreie Hypothesen-Bildung stehen an. Die Erwartung, der Computer werde schon den Täter ausspucken, wenn ich ihn nur mit weiteren Millionen Massendaten füttere, hat sich einmal mehr als Irrweg erwiesen.

10) Die Fehler im Bereich der Strafverfolgung waren gravierend und dürfen sich nicht wiederholen. Noch wichtiger für eine erfolgreiche Bekämpfung des Rechtsextremismus und für eine wirksame Prävention sind die Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Diese hat der Staat zu unterstützen und nicht durch vorurteilsbehaftete Aktionen wie der sogenannten Extremismus-Klausel zu behindern.

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